Zur Kategorie ‚Geschlecht‚ in der feministischen Ethnologie
Zur Einführung werde ich euch zwei Zitate vorlesen , die die zwei Grundsätzliche Auffassungen in Bezug auf Geschlecht verdeutlichen.
1.Devereux: Tatsächlich kann man nicht menschlich sein, ehe man männlich oder weiblich ist; Männlichkeit und Weiblichkeit sind inhärente Konstituentien des Begriffs von menschlichen Wesen ebenso wie seiner Realität. Kurz, es ist unmöglich menschlich zu sein , ohne gleichzeitig auch geschlechtlich zu sein: männlich oder weiblich."
Daraus kann man sehen dass Devereux eine klare geschlechtliche Trennung Frau/ Mann vornimmt.
Im Gegensatz dazu vertritt Nadig die Auffassung , dass eine feministisch orientierte Ethnologie davon ausgeht, dass es keineswegs klar ist, was genau ‚ein Mann‚ und ‚eine Frau‚ sind, dass es keine eindeutige Bestimmung gibt, die das festlegen könnte, denn selbst biologische Definitionen sind ideologische Konstrukte, abhängig von der jeweiligen Epoche und Kultur, in der sie gebraucht werden"
Hieraus wird ersichtlich, dass sich nach ihrer Auffassung Mann und Frau nicht eindeutig bestimmen lassen.
Unklar bleibt hier was man sich unter "Geschlecht" vorstellt.
"Ist Geschlecht eine Soziale Konstruktion oder leiblich existent oder beides zugleich."
Zunächst versuche ich daher eine Klärung des Begriff ‚Geschlecht‚ vorzunehmen.
Geschlecht setzt sich zusammen aus ‚Sex‚ und ‚Gender‚. Wobei
‚Sex‚ die biologische Komponente ist und ‚Gender‚ als kulturelle, soziale und psychische Komponente gilt.
Es gibt Gruppen die Geschlecht abschaffen wollen, weil es zu Einteilung und Unterscheidung von Menschen genutzt wird.
Andere betonen, dass es Zweigeschlechtlichkeit gibt und fordern deren Berücksichtigung in Gesetzen.
Ich versuche nachvollziehbar zu machen wie sich die heutige Verwendung Kategorie ‚Geschlecht‚ in feministischen ethnologischen Ansätzen herausgebildet hat. Dazu werde ich zunächst auf zwei Feministische- ethnologische Ansätze zur Kategorie ‚Geschlecht‚ eingehen die von natürlichen Gegebenheiten, die kulturell transformiert werden ausgehen. Anschließend werde ich auf Gendertheorien eingehen, die fast ausschließlich Gender thematisieren und bei denen ‚Sex‚ heute auch als kulturell konstruiert gilt.
Am Anfang der ethnologischen Frauenforschung steht die Kritik am "male bias".
Die zentrale Fragestellung feministischer Ansätze in der Ethnologie lautet bis heute: "Wie ist die gesellschaftliche Stellung von Frauen in verschiedenen Kulturen; was meint ‚Status‚, läßt er sich interkulturell vergleichen und erklären?"
Die feministischen ethnologischen Theorieansätze sind geprägt durch die besonders in der Ethnologie bedeutende Natur- Kultur- Dichotomie, diese wiederum basiert auf den abendländischen Leib- Geist- Dualismus.
Natur und Leib stehen für Weiblichkeit und Passivität, Kultur und Geist hingegen stehen für Männlichkeit und Aktivität.
Entlang dieser Zweiteilung wird auch ‚Geschlecht‚ gespalten gedacht, dass spiegelt sich in der Aufteilung des Begriffs in ‚Sex‚ und ´Gender´ wieder.
Jetzt komme ich zur 1.‚Sex- Gender- Theorien‚
und zwar zu der Theorie der universelle Geschlechterasymmetrie
Aufgrund der gemeinsamen Erfahrung der Unterdrückung und sexuelle Unterordnung und durch die biologisch definierte Gemeinsamkeit entsteht bei allen Frauen ein Art "Wir- Gefühl".
Doch vor allen Schwarze Frauen fühlen sich in diesem Konzept aufgrund anderer Erfahrungen, z.B. Erfahrung der Unterdrückung durch Rassismus, nicht vertreten. ‚Sex´ als Erklärungsmuster für gemeinsam gemachte Erfahrungen der Unterdrückung und Unterordnung muss kritisch hinterfragt werden.
Statt dessen sollte das "Wir" auf selbstdefinierten gemeinsamen Ideen basieren.
Die zweite Theorie sind die ‚Sex/Gender- Systeme‚ nach Rubin(1975)
Jede Gesellschaft hat ein spezifisches Sex/ Gender- System, dass Menschen nach zwei Geschlechtern aufteilt.
Zur Erhaltung einer Gesellschaft müssen die Menschen "vergeschlechtlicht" werden, d.h. es müssen aus männlichen und weiblichen Wesen ‚Männer‚ und ‚Frauen‚ transformiert werden.
( ‚Sex‚ transformiert zu Gender)
Durch die Aufteilung von Zeugung und Geburt, verschärfen sich die Unterschiede zwischen den zwei Geschlechtern und erschaffen dadurch ‚Gender‚.
Laut Rubin entspringt Zwangshetorosexualität, basierend auf der Identifikation mit einem Geschlecht und der Ausrichtung des Begehrens auf das andere und Frauenunterdrückung dem gleichen System.
Rubin sieht in ´Gender´ einen Zwang den Gesellschaften bzw. politische Systeme den Individuen auferlegen, deswegen ist es ihr Ziel Gender abzuschaffen.
An Rubins Theorie ist besonders bedeutend für die Ethnologie die Frage nach dem Kontext und nach der gesellschaftlich spezifischen Produktion von ‚Geschlecht´.
Aber auch hier muss kritisch hinterfragt werden in wieweit die Transformationsidee für unsere Kultur spezifische ist.
Jetzt komme ich zu den ‚Gender- Theorien‚
Zur Einführung lese ich das viel zitierte Zitat von Haraway:
Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.
Die Gesamtheit der Zivilisation gestaltet das Zwischenprodukt zwischen den Mann und den Kastraten, dass man als Weib bezeichnet.
Seit Beginn 80 Jahre wird in feministischen ethnologischen Ansätzen die Kultur in den Vordergrund gerückt.
Es wird versucht geschlechtliche Ungleichheit durch die Einbeziehung von Kultur zu erklären. Dadurch nimmt die Ethnologie interdisziplinär eine wichtige Rolle ein.
Im Gegensatz zur Biologie, verweist die Variabilität des Kulturellen auf ein Veränderungs und Befreiungspotential. D.h. durch die Konstruktion von ‚Geschlecht‚ können andere Gender- Varianten oder multigeschlechtliche Gesellschaften erschaffen werden.
Nachdem ich kurz ein paar Theorieansätze angesprochen habe, komme ich zu den Auswirkungen der Gender- Theorien vor allem im Rahmen der feministischen Ethnologie
Auf der theoretischen Ebene haben die Theorie zur Dekonstruktion des Mythos der "biologischen Tatsachen" geführt.
Aufgrund der These das Gender ein Konstrukt ist, werden grundsätzliche Fragen zu gesellschaftlichen Kategorisierung und Vergeschlechtlichung von Individuen eröffnet.
Es ist wichtig zu unterscheiden zwischen Fremdzuweisung (Geburtszuweisung), Gender Role, d.h. geschlechtsspezifische Erwartungen und Selbstdefinition oder Gender Identity, die nicht zwangsläufig das gleiche sind.
Die Ethnologie verweist auf unterschiedlichen Vorstellungen von Geschlecht, die auf einer Vielfalt von kulturellen, sozialen und psychischen Klassifikationskriterien basisieren. Kessler und Mc Kenna entnehmen Beispiele für Möglichkeiten in denen Individuen das Geschlecht wechseln, aus anthropologischen Berichten über nordamerikanische - indianische Gesellschaften vor etwa 100 Jahren.
Ein Geschlechterwechsel erfolgte in diesen Gesellschaften entweder aufgrund ökonomisch- ökologischer Notwendigkeit, hierzu ein Beispiel:
Eine Familie hat mehrere Töchter aber keinen Sohn. Zum Jagen braucht der Vater Hilfe. Weil sie wieder eine Tochter kriegen, entschließen sich die Eltern, sie zum Sohn zu machen. Sie kleiden das Kind wie einen Jungen an und als es fünf Jahre alt ist, stecken sie ihm die getrockneten Geschlechtsteile eines Bären in den inneren Gürtel, damit niemand auf andere Gedanken kommt. Eventuell entwickelt das Kind eine große Stärke und wird ein guter Jäger.
Oder der Wechsel erfolgt aufgrund individuelle Präferenzen
Auch hierzu ein Beispiel:
Ein Familie hat einen Sohn. Das Kind zeigt Interesse an weiblichen Aufgaben und scheut männliche. Die Eltern beschließen ihn zu testen. Sie stecken ihren Sohn mit Pfeil und Bogen und Material zum Körbeflechten in eine Einzäunung, zünden darin ein Feuer an und beobachten, was das Kind beim Herausrennen mitnimmt. Es ergreift das Korbmaterial. Von diesem Zeitpunkt an behandeln es die Eltern als Tochter.
Auf ethnographischer Ebene haben die Theorien also bewirkt, dass ‚Gender‚ als wesentliche Kategorie zur Beschreibung fremder Gesellschaften gilt.
Zusätzlich wurden die Gendertheorien ausgeweitet zu einem Sex/Gender-Race/Ethnicity, Class , Ansatz´.
Durch die Konstruktionsthese wird deutlich, dass Geschlecht als Kategorie für sich allein betrachtet nichts aussagen, deswegen verbindet sich heute die feministische Ethnologie mit Theorienansätzen anderer Formen der Unterdrückung z.B. Rassismus, Nationalismus.
Das bedeutet für die feministische Ethnologie ein breites Arbeitsfeld mit neuen theoretischen Verbindungen.
Anschließend ein paar Gedanken und Fragen zur feministischen Trennung von ‚Sex‚ und ‚Gender‚- Kategorie
Die Trennung von ‚Sex‚ und ´Gender´ wird meist als universell angesehen, ist es jedoch sinnvoll diese Begriffe bei der Beschreibung von fremden Kulturen anzuwenden?
Macht es überhaupt Sinn ‚Geschlecht‚ nach ‚Sex‚ und ‚Gender‚ zu trennen?
Um sexistische Politik und weitere Formen von Diskriminierung und Gewalt analysieren und verändern zu können, muss das Tabuisieren des geschlechtlichen Körper überwunden werden.
Auch der Wechsel der Ebene, auf welcher die Produktion geschlechtlicher Diskriminierung angesiedelt wird- von Biologie zur Kultur- wird noch nicht zur Beseitigung von Diskriminierung betragen.
Durch die Konstruktionsthese werden die Machtverhältnisse- Wer und durch wenn wird Macht ausgeübt, verwischt? Um aber sexistische Diskriminierung zu beseitigen müssen herrschende Macht- und Gewaltverhältnisse offengelegt werden.
Zu letzt möchte ich darauf verweisen, dass sich nicht alles auf Konstrukte reduzieren lässt (z.B. Hunger ist kein Konstrukt)
Abschließend möchte ich ein paar neue Ausblicke geben
Geschlecht kann denaturalisiert werden, dennoch wird in unserer heutigen Gesellschaft ‚Geschlecht‚ immer noch biologisch definiert. Wir versuchen Individuen in Mann und Frau einzuteilen, Uneindeutigkeiten fallen uns schwer. Sitzen wir zum Beispiel in der U-Bahn jemanden gegenüber den wir nicht eindeutig einem Geschlecht zu ordnen können, suchen wir bei ihm oder ihr nach eindeutigen Geschlechtsmerkmalen.
Die Unterscheidung von Sex und Gender macht deutlich, dass es verschiedene Ebenen gibt, denen heute SozialwissenschaftlerInnen Geschlecht zuordnen, zumeinst eine körperliche und eine kulturelle, soziale Ebene, die wir jedoch in unserem Alltag als Einheit annehmen.
Geschlecht kann jedoch auch anders gedacht und gelebt werden.
Der Zwang zur Eindeutigkeit muss in Frage gestellt werden, denn ‚Sex‚ und ‚Gender‚ können sich vielfältig mischen.
Bedingt durch die Zunahme ab- und ausgrenzender Politik mit Kategorie der Unterscheidung (z.B. Geschlecht, Behinderung, Nation) wird es notwendig Verbindungen zwischen den einzelnen Kategorisierungen zu ziehen, um sie in ihr gegenseitigen Entsehung und Verwobenheit zu untersuchen.
Zum Schluss möchte ich noch auf ein Problem bei neueren feministischen Konstruktionsansätze kommen, in der manchmal die Tendenz zur Abschaffung der Geschlechterkategorie besteht.
Um gegen sexistische Diskriminierung vorzugehen, sollte man sich nicht auf Geschlechterkategorien bzw. deren Abschaffung konzentrieren, sondern auf die sie bedingende Macht und Gewalt Verhältnisse.
Fraglich ist es zudem ob nicht die Abschaffung der Kategorie Geschlecht dazu führen würde, das gleich ein Ersatz dafür gefunden wird, zum Beispiel Alter, um gesellschaftliche Ungleichheit zu legitimieren.