Аннотация: Der Tribut einer zu jung gestorbenen Frau, die kein Sex mit dem Autor geschafft hatte. Obwohl die Beiden das vorhatten.
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Susan?
Yuri Zimmermann
(Memoiren eines Moskauer Casanovas - IV.)
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Susan?
Dieser Stern strahlt nun nicht mehr den Musen,
Wo er stand ist nur nachtkalte Ruh.
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Susan,
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Sue?
Originaltext: D. Sucharev, Melodie. V. Berkovskij
Damals hatte Lenchen gerade Geburtstag. Typische Moskauer Wohnung, frühlingshaftes Wetter, fröhliche Gesellschaft. Alle waren schon in gehobener Stimmung, wie immer zupfte jemand auf der Gitarre herum, und unser Freund Sergeitsch, der nach mir zu der Gesellschaft gestoßen war, um dem Geburtstagskind zu gratulieren, fragte, ob jemand dieses Lied kennt. "Na los, lasst uns singen", ermunterte uns Katherina mit jenseitigem Augenzwinkern und fröhlich breitem Lächeln.
Sergeitsch war ein ganz besonderer Mensch, ein schlanker Schönling mit hellen Haaren und eleganter Figur, dessen kaum merkliche Gehbehinderung seine Ausstrahlung nur noch verstärkte. Er war immer bestens gelaunt, spielte wunderbar Gitarre und trank gern ein Gläschen Wodka, fiel jedoch nie aus dem Rahmen. Er konnte herrlich fluchen, aber er tat es mit fast entschuldigender Miene. Kurz gesagt, Sergeitsch, unser Genosse Student, war immer in Hochform, stellte aber lieber sein Licht unter den Scheffel. Er vermied jede Anspielung auf seine großfürstliche Herkunft und seinen Familienstammbaum, der 22 Generationen zurückreichte und edel nach Adel roch. Wir anderen hingegen, Kleinbürger und Plebejer, vergaßen das nie und hatten unseren Spaß daran, ihn in seinem Glanz ein wenig zu umschwärmen.
Katherina erging es nicht anders. Sie hieß mit Nachnahmen Semiglas (" Die Siebenauge), wozu es sehr gut passte, dass ihr linkes Auge manchmal unstet flackerte und zur Seite glitt, was ihrem Blick einen fast überirdischen Zauber verlieh. Jetzt zwinkerte sie erneut, ließ die Gitarrensaiten anklingen, räusperte sich und begann zu singen. Sie besaß einen wunderbar lyrischen Sopran, der nicht besonders laut, aber zärtlich und schmeichelnd klang, manchmal gespielt "böse", fast immer aber samtig und zu Herzen gehend. Ihre rätselhaft kindliche Stimme wiederholte nun wieder und wieder den Refrain mit seiner schichten Frage, so dass wir nach und nach alle - auch Freund Sergeitsch, auch die dicke Manja, schließlich ich selber und sogar das Geburtstagskind - in Katherinas Gesang einstimmten:
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Susan,
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Sue?
Ah, Lenchen... Ich küsste sie nur ein einziges Mal im Leben. Irgendwelche Handwerker hatten vergessen, das Schloss an der Speichertür wieder anzubringen, und wir nutzten die Gelegenheit, um auf das Dach hinauszuschlüpfen, ein wenig durchzuatmen und frische Luft zu schnappen, bevor wir wieder in den Partydunst eintauchten.
Wir begingen einen dieser "Themenabende", derer sich mein damaliges Haus rühmen konnte. Die Idee bestand darin, dass die glänzenden, vielseitig begabten und hochtalentierten - zum Teil geradezu übertalentierten - Leute, zu denen wir uns und unsere Freunde in jugendlichem Überschwang zählten, zu einem festgesetzten Thema improvisierten, so dass sich weitere, bis dahin ungeahnte Seiten der jeweiligen Persönlichkeit offenbaren konnten. Damals spielten wir, glaube ich, "Cabaret auf dem Montmartre", und jeder kehrte sein Inneres nach außen, so gut er nur konnte. Man trank Aperitif und Vin Rouge, man schnabulierte Käse und Weintrauben, bestaunte Cancan auf dem Tisch und sogar Ministriptease. Verkannte Poeten und aufstrebende Nachwuchskünstler traten auf, billige Bordsteinschwalben von der Laterne gegenüber und sogar ein verklemmtes Pärchen aus England (dargestellt natürlich von Sergeitsch und seine Freundin), das extra angereist war, um die berühmte kontinentale Verruchtheit zu bestaunen. Das alles waren wir - die Jünglinge der blühenden Breschnew-Zeiten, hoffnungsvolle Vertreter der sowjetischen Jugend. Komsomolzen. Mehr als die Hälfte von uns sprach fließend Französisch, Mireille Mathieu löste George Brassens ab... Mit einem Wort: Wir verkörperten Klein-Paris.
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Susan,
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Sue?
Ihr Französisch verdiente echte Bewunderung. Sie war eine winzige Brünette mit Augen, die fast so groß zu sein schienen wie das halbe Gesicht, hatte eine kräftige Figur und einen reifen, festen Busen. Wie hast du den Weg auf unsere Köpfe gefunden, du kleiner Spatz aus dem Saint Germain von Moskau? Sie konnte närrisch und leichtsinnig sein - oh là là - aber im nächsten Augenblick kehrte sie wieder zu Ernst und Pedanterie zurück und wirkte dabei nahezu manisch. Eine Liebesaffäre löste spätestens nach zwei Wochen die nächste ab, aber sie nahm jede ernst und behauptete, das sei es nun für alle Zeit. Als die berauschende Frühlingsluft und der schwindelnde Abgrund der zwölf Etagen uns auf dem Dach einander in die Arme trieben, da küsste sie mich mit der gleichen Konzentration und dem gleichen Eifer, mit dem sie ihre medizinischen Fachbegriffe paukte oder, sagen wir, Kartoffeln schälte. Sie ließ kein noch so kleines Fleckchen meiner Lippen von ihrer Zungenspitze unberührt, sie schmiegte sich hingebungsvoll an meine Schultern und überließ sich willenlos dem Spiel meiner Hände. Sie zierte sich auch nicht besonders, als ich ihre Bluse und den Rest aufknöpfte, um mich völlig frei ihrem Busen zu widmen. Unsere Beine verflochten sich ineinander, berührten unsere geheimsten Stellen durch die dünne Sommerkleidung hindurch und steigerten so unsere Lust. Es ging alles weiter nach Programm, denn wenn "le vin est tiré", dann "il faut le boire". Wir gaben uns unserer unschuldigen Pionierübung so lange hin, bis unsere gemeinsame Abwesenheit unhöflich zu werden drohte und kehrten schließlich erfüllt und fröhlich zu unseren Kumpanen zurück - mit dem zutiefst befriedigenden Gefühl, eine Pflicht getan zu haben.
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Susan,
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Sue?
Noch zweimal vereinbarte sie ein Treffen mit mir, das erste Mal im Zentrum für Haut- und Geschlechtskrankheiten, das zweite Mal im Leichenschauhaus. Das war zwar lustig, richtig lustig sogar, aber mir stand damals nicht der Sinn nach derlei Humor. Ich Hornochse! Warum habe ich sie nicht zu mir ins heimische Bett eingeladen? Stattdessen reichte ich besinnungsloser Vollidiot sie an den nächstbesten Freund weiter, als sei ich armer Dussel der Vormund meines Damenflors: "Verstehen Sie doch, Herr Doktor, die Patientin braucht das jetzt ganz dringend." Der 'Doktor', so viel sei zu seiner Ehre gesagt, war ganz auf der Höhe. Die Antwort fiel ihm nicht schwer, eine überhebliche Antwort auf meinen schüchternen Vorschlag, dieser dürstenden Dame zu trinken zu geben und ihr über jene psychische Barriere hinwegzuhelfen, an der sie sich schon so lange abquälte... Der 'Doktor' antwortete formvollendet: "Lass mich nur machen, das kriegen wir schon hin!" Er sollte Recht behalten. Sie ließ ihn tatsächlich machen, verliebte sich noch in der gleichen Nacht in ihn, wurde im nächsten Jahr seine Frau und ein paar Jahre später seine Ex-Frau...
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Susan,
Sag, wohin trieb das Schicksal dich, Sue?
Ja, was trieb sie durchs Leben? Welche Kraft zwang sie dazu, sich von ihrem ersten Mann zu trennen, sich dann ganz und gar aus dem Staub zu machen und das Kind zurückzulassen, das sie von einer Zufallsbekanntschaft hatte, um für ein paar Jahre bei einem jüdischen Schönling vor Anker zu gehen, einem seelenverwandten Possenreißer und Sprücheklopfer, und schließlich vorletzte Ruhestätte bei einem einfachen russischen Typen namens Sascha zu finden, der es immerhin schaffte, ein echter Vater ihres Sohnes zu werden? War es die Neugier, die Sucht nach frischen Eindrücken, ihre berüchtigte Manie - oder nur die Vorahnung eines nahen und schrecklichen Endes?
Ich beuge mich über deine Lippen, über die Biegung deines kräftigen, aber elastischen Halses und über das Grübchen an deiner Kehle, ich bedecke jeden Quadratmillimeter deiner herrlichen Brüste mit unzähligen Küssen, erwecke deine kleinen, festen Brustwarzen zum Leben, ich streichle mit Nase und Wangen über die sanfte Rundung deines straffen Bauches, so herb und doch so fraulich, und fühle, wie er sich unter der aufkeimenden Lust zu spannen beginnt, ich sauge mich an der Innenseite deiner Schenkel entlang und schmecke die Feuchte deines duftenden Schoßes, ich tauche ein in deine Tiefe, die sich gleichermaßen hingibt und sträubt und erkenne wieder und wieder die geheimen Schätze deines innersten "Ichs", erlebe hemmungslose Kreatürlichkeit und wilde, beinahe grausame Leidenschaft, die sonst unter deiner Mädchenhaftigkeit und scheinbaren Kühle verborgen bleibt, ich spüre, wie sich deine kurzen, muskulösen Beine, die du um meinen Körper geschlungen hast, im Paroxismus höchster Lust verkrampfen...
Aber nein, es ist unwiederbringlich zu spät! So wird es niemals sein. Welch entsetzliches Wort: Niemals!
Verzeih, Lenchen, du kleines, schüchternes Wunder, du winziges Moskauer Häschen, das sich zufällig aus dem Bois de Boulogne hierher verirrt hatte. Verzeih mir alles, was war, und noch mehr: Verzeih mir alles, was nicht war. Verzeih uns allen. Verzeih - und auf Nimmerwiedersehen.